Dickichte (thickets)
Book, 20 x 20 cm, 2003
Das Magische im Moment erfinden
Das Dickicht als Unort – aufgeblättert in einer Serie von mehreren Bildern, die eine vordergründig unschuldige Hecke fokussieren. Das erste Bild zeigt einen Ausschnitt, so wie man sie kennt, kompositorisch so festgehalten, dass die vertrockneten Zweigspitzen der Hecke in melodiöser Anmutung der Bilddiagonalen folgen. Die nächsten Bilder geben den Blick auf den größeren Zusammenhang frei und zeigen den Vordergrund in seiner vollen Unpracht: achtlos verstreuten Müll, Zigarettenstummel, Spritzen und allerlei disperaten Unrat. Bei genauem Hinsehen erkennt man ein Höschen, das sich in den Ästen verheddert hat. Nicht erst jetzt offenbart sich das Dickicht in seiner ganzen Dramaturgie als nächtens frequentierter Schauplatz illegaler Handlungen, atmosphärisch verdichtet, sobald ihn die Nacht in ihr schützendes Zwielicht verhüllt. Die Orte von Sascha Weidner können überall sein – hier aber befinden wir uns an einem besonderen Ort: dem Heckenlabyrinth im Jardin des Tuilleries in Paris. Und mit diesem Wissen nimmt man nun auch den Eingang wahr, der lasziver Schamlippen gleich, in das lustversprechende Dickicht dahinter führt und gleichzeitig das Bild in seine geheime Tiefe hin öffnet. Das Wesen des Labyrinths liegt jedoch nicht in seiner äußeren Form, sondern in der Bewegung, die es hervorbringt und in den verschlungenen Pfaden bis hin zum verborgenen Schoß seiner Mitte, vom permanenten Spiel zwischen Öffentlichkeit und Klandestinität gekennzeichnet. Ähnlich wie der Vorhang verbirgt der kaum wahrnehmbare Heckeneingang unter dem Vorwand der Offenbarung die eigentliche Potentialität des Ortes und verwickelt den Betrachter in die hochaufgeladene Situation von Verhüllung und Verführung.